Wie ich dann doch Hausärztin wurde…

Eine meine ersten Erinnerungen an diese Ordination ist der Kindergartenausflug von St. Veit aus in die Ordination zu meinem Vater, um Teddybären und sonstige Kuscheltiere professionell untersuchen, abhören und verbinden zu lassen. Teil meiner Kindheitserinnerungen ist auch das Mitfahren zu Hausbesuchen von Patient:innen in der Umgebung – die Situation, wenn man andere Lebenswelten betritt und Teilnahme am Schicksal anderer hat – selbst wenn man vielleicht noch nicht alt genug ist, um es genau zu verstehen.

Ich kann also sicher nicht leugnen, dass eine gewisse Prägung und Wahrnehmung der hausärztlichen Berufung bereits sehr früh stattgefunden hat. Für lange Zeit in der Schule war es jedoch definitiv nicht mein Wunsch, Medizinerin oder gar Hausärztin zu werden. Erst am Ende meiner Schulkarriere kam ich durch Fachbereichs- und Themenarbeiten mit Organisationen wie Amnesty International und Médecins sans Frontières in Kontakt und meine Neugierde für humanitäre Hilfsprojekte wurde geweckt. Der Gedanke mir doch das Medizinstudium zumindest einmal „anzusehen“ (es war der letzte Jahrgang ohne Aufnahmeprüfung in der Grazer Messehalle) erwachte.

Bald schon landete ich durch einen Zufall in der Vinzimed – als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der medizinischen Versorgung der Vinzidorfbewohner. Durch die Arbeit dort habe ich erkannt, wieviel Wert das solidarische Gesundheitssystem in Österreich für benachteiligte Personen und Randgruppen hat und das es nicht unbedingt notwendig ist, sehr weit weg zu fahren, um tatsächlich auch effektiv Hilfe leisten zu können. Mein Interesse für die Allgemeinmedizin, gerade aufgrund ihrer Buntheit und Verschiedenheit war dadurch auch wieder geweckt. In den freien Wahlfächern suchte ich vermehrt nach Inhalten, die diese Wahrnehmung bestätigten bzw. mich auf diese Aspekte der hausärztlichen Medizin vorbereiten könnten, ich wählte z.B. das Sonderstudiermodul (SSM) Minority Medicine und auch das SSM Geriatrie – denn mir wurde rasch klar, dass auch die hochaltrigen, weniger mobilen und vielfacherkrankten Menschen eine große, vulnerable Gruppe ausmachen, die von unserer Betreuung in der hausärztlichen Praxis abhängig sind. Über mein Engagement in der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ) lernte ich auch die internationale Gemeinschaft und Gesellschaft der (jungen) Allgemeinmedizin und die wissenschaftlichen und berufstheoretischen Grundlagen der Allgemein-und Familienmedizin besser kennen.

Der wichtigste Grundsatz, den ich mir von dort mitgenommen habe ist meine Auftragserfüllung im Rahmen der allgemeinmedizinischen Kernkompetenzen und im Rahmen der solidarischen, hausärztlichen Versorgung. Es ist dies der Grundsatz der „Equity in health care“ – die Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Gesundheitsversorgung – vermittelt und gelebt durch eine niederschwellige, wohnortnahe und kontinuierliche Versorgung.

Diesem Grundsatz folge ich in meiner Betreuung der Patient:innen – gerne sage ich auch zu meinen Studenten in der Vorlesung:

„Egal ob getupft, gestreift, kariert oder grün-rosa geblümt, egal wer die Person ist, sie wird immer das gleiche Maß an Sorgfalt, Bemühen und Einsatz bekommen. Und kann ein Mensch nicht in die Ordination kommen, so ist es meine Aufgabe, die medizinische Versorgung zu diesem Menschen zu bringen.“

Während meiner weiteren Ausbildung habe ich dann noch das Geriatrie-und Palliativdiplom sowie das Schularztdiplom ergänzt, um notwendiges Wissen in diesen Bereichen zu vertiefen. Ich habe im Krankenhaus der Elisabethinen in Linz auch meine Zusatzfachausbildung Geriatrie begonnen und 2 Jahre Innere Medizin und auch das Gegenfach der Physikalischen Medizin und Remobilisiation absolviert. Diese Ausbildung habe ich durch die Geburt meines Sohnes gerne unterbrochen. Eine Beendigung der Ausbildung stand am Ende der Karenz im Raum, durch die COVID-19 Pandemie lag jedoch mein Fokus auf der Unterstützung meines Vaters in der Ordination sowie aller Hausärzt:innen in Österreich in ihrer so wichtigen Tätigkeit, die medizinische Grundversorgung der österreichischen Bevölkerung aufrecht zu erhalten.

Für 2 Jahre durfte ich die „Living Guideline“ bzw. Plattform „COVID-19: Prävention und Umgang in der hausärztlichen Primärversorgung“ der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) hauptamtlich betreuen und Kolleg:innen frei zugänglich alle Neuigkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu COIVD-19 für den Praxisalltag möglichst relevant und zeitnah näher bringen. Nach zwei Jahren wird mir diese Arbeit sicherlich fehlen, auf der anderen Seite freue ich mich jetzt doch auf neue Herausforderungen und neue Erfahrungen in der hausärztlichen Primärversorgung, gemeinsam mit meinem Team und meinen Patient:innen – mit all ihren Problemstellungen und in all ihrer Buntheit.

Dr. Maria Wendler